Asylverfahren

Gemäss den von der Schweiz mitunterzeichneten Menschenrechtskonventionen und unserer Bundesverfassung hätte jeder Mensch das Recht auf ein faires Asylverfahren. Formal ist dies selbstverständlich gewährleistet und die Schweiz gebärdet sich oft so, als hätte sie dieses Menschenrecht erfunden und gepachtet. In der Praxis krankt unser Rechtssystem im Asyl- und Ausländerrecht und in den damit verbundenen Verfahren jedoch an vielen grundlegenden Mängeln. Die heutige Situation zeigt: Das 2016 vom Schweizer Volk mit klarer Mehrheit akzeptierte neue Asylverfahren wurde nur ungenügend verbessert oder gar verschlimmbessert.

Mängel im Asylverfahren
Zwar hat nun jede asylsuchende Person einen minimalen Anspruch auf rechtlichen Schutz. Die oft überlangen Asylverfahren wurden beschleunigt. Doch das neue Verfahren hat alte Mängel zum Teil durch neue ersetzt und einige grundsätzliche Mängel des alten Rechts sind geblieben: Noch immer ist der Instanzenzug im Asylrecht beschnitten. Nach einem negativen Asyl- oder Schengenentscheid haben Asylsuchende nur die einzige Beschwerdemöglichkeit beim Bundesverwaltungsgericht, das bekanntlich nach Parteienproporz besetzt ist und auch entsprechend urteilt. Noch immer gilt nicht der Grundsatz „im Zweifelsfall für die Asylsuchenden“, sondern aus politischen Gründen eher das Gegenteil. Oft findet eine Beweisumkehr statt, der „Beweis“ wird von den Flüchtlingen verlangt, nicht vom Bundesamt für Migration (SEM). Aussagen der Flüchtenden in den Anhörungen werden allzu gerne als „nicht glaubwürdig“ bezeichnet. Kommt hinzu, dass die Länderberichte oft hoffnungslos veraltet und bezüglich Objektivität der Quellen bedenklich sind. Auf diesen Berichten beruhen aber die Beurteilungen der Instanzen betreffend Zumutbarkeit für eine Rückreise in das betreffende Herkunftsland.

Serienentscheide statt individuelle Entscheide
Der psychische Zustand von Flüchtlingen, insbesondere von vulnerablen, traumatisierten Flüchtlingen, wird in den Anhörungen zu wenig berücksichtigt. In den neuen Asylverfahren sind die Beschwerdefristen so knapp geworden, dass der Erfolg einer Beschwerde illusorisch wird, weil man neue Beweismittel nicht rechtzeitig beschaffen kann bzw. keine seriöse Beschwerde in hochstehender Qualität zu Stande bringt. Das SEM und das Bundesverwaltungsgericht (BVG) rühmen sich zwar regelmässig, dass jeder Entscheid „individuell“ gefällt wird, meist erfolgen jedoch in Folge des Drucks der vielen Verfahren Serienentscheide, welche auf sog. Grundlagenentscheiden basieren. Der Zugang zu rechtlicher Begleitung im Asylverfahren ist zudem letztlich nach wie vor nicht genügend gesichert. Die Pflichtverteidiger haben sehr beschränkte Zeitmandate zur Verfügung und ist ein SEM-Entscheid gefallen, so müssen die Pflichtverteidiger ihren Rechtsschutz beenden. In der Folge sind die Flüchtenden darauf angewiesen, unter grossem Zeitdruck eine Privatverteidigung zu finden, die sie nicht bezahlen können.

Enge Zusammenarbeit mit Aktionsgruppe Nothilfe
Wir von „offenes Scherli“ unterstützen Asylsuchende in ihrem Verfahren. Wir versuchen, sie für die Verfahren zu wappnen, ihnen Verteidiger und eigene Expertise zur Verfügung zu stellen, Geldmittel bereit zu stellen, um eine seriöse Verteidigung überhaupt zu erlauben und mit Abgewiesenen Wege zu erkunden, wie sie ein faires Verfahren erhalten können – falls notwendig auch durch Einschaltung internationaler Instanzen. Dies alles tun wir im Verbund mit NGOs, Anwaltskanzleien und anderen Lokalgruppen, auch im Netzwerk der von uns mitgegründeten Aktionsgruppe Nothilfe (www.ag-nothilfe.ch).

Zivilgesellschaft ist gefordert
Zugleich weisen wir in unserer Publizitäts- und Lobbyingarbeit immer wieder auf die grossen Mängel unseres Asylverfahrens hin und ermuntern (mit bislang beschränktem Erfolg) zu einer menschlicheren und gerechteren Asylpolitik. Noch immer leben Tausende in der Schweiz und Hunderte im Kanton Bern in der Nothilfe oder als Sans-Papiers. Viele Asylsuchende – z.B. aus Eritrea, Iran, Afghanistan – haben unser Land desillusioniert verlassen. Die Zivilgesellschaft muss aufmerksam überwachen, was in den Asylverfahren passiert. Es droht eine ähnlich unwürdige Entwicklung wie man es von den Skandalen um Flüchtlinge im 2. Weltkrieg, rund um die Verdingkinder, Zwangsverwahrten etc. schon zur Genüge kennt.